- Nachname:
- Asperger
- Vorname:
- Johann Friedrich Karl
- Epoche:
- 20. Jahrhundert
- Arbeitsgebiet:
- Medizin
Heilpädagogik
Kinder- und Jugendpsychiatrie - Geburtsort:
- Hausbrunn (AUT)
- * 18.02.1906
- † 21.10.1980
Asperger, Hans
Österreichischer Kinderarzt und Heilpädagoge.
Johann Friedrich Karl „Hans“ Asperger (1906-1980) kam in Hausbrunn bei Wien zur Welt. Sein Vater, Johann Asperger, war Buchhalter, seine Mutter, Sofie Asperger (geb. Messinger), stammte aus einer Bauernfamilie. Seine beiden jüngeren Brüder starben früh (Berger 2007; Feinstein 2010, S. 12 f.). Asperger interessierte sich für Naturwissenschaften und studierte Medizin an der Universität in Wien. 1931 folgte die Promotion. Anschließend arbeitete er als Assistenzarzt an der Universitätskinderklinik in Wien. Kurze Praktika in Leipzig und Potsdam folgten.
1935 heiratete Asperger Hanna Kalmon aus Hiddingsel (Westphalen). Aus der Ehe gingen vier Töchter und ein Sohn hervor (Gertrud, geb. 1936; Hans, geb. 1938; Hedwig, geb. 1940; Maria, geb. 1946, derzeit Kinder- und Jugendpsychiaterin in Zürich; Brigitte, geb. 1948; Feinstein 2010, S. 13).
Beruflicher Weg
Bereits 1932 übernahm Asperger die Leitung der Heilpädagogischen Station der Wiener Kinderklinik und verband dort mit Unterstützung von Valerie Bruck und der Pflegerin Viktorine Zak (Frith 1991, S. 8) medizinische Therapie und pädagogische Förderung (Feinstein 2013). 1938 erschien sein Vortrag Das psychisch abnorme Kind in der Wiener Klinischen Wochenschrift über die Arbeit mit sog. „psychopathischen“ Kindern. 1943 habilitierte Asperger sich mit der Schrift Die ‚Autistischen Psychopathen‘ im Kindesalter. 1943 wurde er in die Deutsche Wehrmacht eingezogen und war seit Oktober 1944 als ärztliches Mitglied einer Infanterie-Division in Kroatien stationiert (im sog. „Partisanenkrieg“; Sousek 2015, S. 19; vgl. Auszüge aus seinem Tagebuch in Asperger Felder 2008, S. 108). Nach dem Krieg kehrte er nach Wien zurück und nahm Ende August 1945 seine Arbeit an der Heilpädagogischen Station wieder auf. 1952 erschien seine Monographie Heilpädagogik. Asperger war (Mit-) Herausgeber mehrerer pädagogischer und pädiatrischer Zeitschriften. 1953 wurde ihm der Titel eines außerordentlichen Professors verliehen und 1957 berief man ihn zum Vorstand der Universitäts-Kinderklinik in Innsbruck. 1946 war Asperger Präsident der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Heilpädagogik und 1950 Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft für psychische Hygiene.
1962 wurde Asperger zum ordentlichen Professor für Kinderheilkunde und zum Vorstand der Universitäts-Kinderklinik in Wien ernannt. 1963 eröffnete er zusammen mit Hermann Gmeiner (1919-1986), dem Gründer der SOS-Kinderdörfer, eine heilpädagogische Station in Hinterbrühl im Areal des SOS-Kinderdorfes Wienerwald, die er bis zu seinem Tod leitete (Berger 2007, S. 32). Asperger wurde 1977 emeritiert, blieb bis kurz vor seinem Tod beruflich aktiv und hat insgesamt 350 wissenschaftliche Publikationen vorzuweisen (Sousek 2015, S. 20; Feinstein 2013 u. 2010). Hans Asperger starb mit 74 Jahren in Wien.
Autismus und Asperger-Syndrom
Asperger verwendete in seinem Aufsatz von 1938 (Das psychisch abnorme Kind) offenbar erstmals das Adjektiv „autistisch“ zur Definition einer diagnostisch abgrenzbaren Gruppe von „Psychopathien“ im Kindesalter (Volkmar 2015; Fitzgerald 2008, S. 1; Schirmer 2002). Der Ausdruck „Autismus“ wurde zuvor von Eugen Bleuler (1911) geprägt, um ein Grundsymptom bei Schizophrenien zu beschreiben (vgl. Fitzgerald 2012). Bereits 1926 soll Gruna Efimovna Sukhareva (1891-1981), eine russische Kinderpsychiaterin, Kinder behandelt haben, auf die – rückblickend gesehen – der heutige Begriff der Autismus-Spektrum-Störung (ASS) zutreffend sein könnte. Sukhareva beschrieb 1925 in einer russischen Publikation und ein Jahr später auf Deutsch ein Syndrom, das sie „schizoide Psychopathie“ nannte (Manouilenk & Bejerot 2015; Sinzig 2011, S. 3). Auch der austro-amerikanische Kinderarzt Leo Kanner (1894-1981; 1949; 1962), der am Johns-Hopkins-Hospital in Baltimore unter Adolf Meyer im Jahr 1943 den sogenannten „frühkindlichen Autismus“ beschrieb, soll auf Sukhareva Bezug genommen haben, jedoch dürfte noch nicht abschließend geklärt sein, inwieweit er Aspergers Arbeit von 1938 kannte. Kanner (1943, S. 242 ff.) betonte bei den betroffenen Kindern – in deutlicher Abgrenzung zu Schizophrenien – die „angeborenen Einschränkungen des affektiven Kontaktes“.
Ebenfalls 1943 reichte Asperger seine 1944 veröffentlichte Habilitationsschrift in Wien ein, die eine anhand von vier Fällen entwickelte Typologie der „autistischen Psychopathen“ enthielt. Ähnlich wie Kanner wollte Asperger (1944, S. 49) nachweisen, dass „die Grundstörung der Autistischen Psychopathen eine Einengung der Beziehungen zur Umwelt ist“. Er erkannte eine konstante und erbliche Beeinträchtigung der Kinder, die bereits vom zweiten Lebensjahr an über die gesamte Lebenszeit hinweg bestehen bleibe, aber in der Regel dennoch eine gute soziale Prognose erlaube (vgl. Barahona-Correa & Filipe 2016; Gröger 2015; Attwood 2007 S. 16 f.; Bernier 2010, S. 2 ff.; Hippler & Klicpera 2003).
Asperger publizierte in deutscher Sprache, wodurch seine Arbeit zunächst wenig Beachtung fand. Erst als die britische Psychiaterin Lorna Wing seine Schriften 1981 ins Englische übersetzte, fanden sie größere Resonanz. Wing ersetzte den veralteten Ausdruck „autistische Psychopathen“ durch die Bezeichnung „Asperger-Syndrom“ (Demes 2011, S. 19). Wing ging bereits davon aus, dass sowohl das Asperger Syndrom als auch der „frühkindliche Autismus“ Teile eines „autistischen Spektrums“ darstellen. 1991 folgten weitere Übersetzungen durch Uta Frith. Nach Aspergers Tod wurde das Asperger-Syndrom 1992 in die ICD-10 und 1994 in die vierte Version des Diagnostische und Statistischen Manuals aufgenommen (Feinstein 2013, S. 266). Im Zuge der Debatten über die Kriterien des DSM-V von 2013, in dem die diagnostische Kategorie „Asperger-Syndrom“ nicht mehr vorkommt, wird diskutiert, ob die Definition der Autismus-Spektrum-Störungen nun wiederum zu eng gefasst worden ist (Realmuto 2015; Dickerson Mayes, Black & Tierney 2013).
Sowohl das Asperger-Syndrom als auch Kanners „frühkindlicher Autismus“ gelten heute als Formen innerhalb der Autismus-Spektrum-Störung und weisen viele Gemeinsamkeiten auf (vgl. Volkmar 2015; Pollak 2015; Sinzig 2011; Bernier & Gerdts 2010; Attwood 2007). Beim Asperger-Syndrom sind im Gegensatz zum frühkindlichen Autismus die Intelligenz zumeist durchschnittlich und die verbalen Fähigkeiten gut bis sehr gut entwickelt. Zudem treten keine Entwicklungsverzögerungen auf. Gestört erscheinen aber die sozioemotionale Interaktion und Kommunikation der Betroffenen, zudem treten stereotype Verhaltensweisen auf. Typisch sind Besonderheiten des Blicks sowie der Mimik und Gestik und Störungen bei der Filterung von Sinneseindrücken. Das logische Denken gilt als nicht beeinträchtigt; beschrieben werden teils auch Spezialinteressen und „Inselbegabungen“. Aspergers pädagogische Prinzipien finden noch heute Anwendung. Dazu gehören u. a. ein klar strukturierter Tagesablauf sowie die vorrangige Ansprache des Verstandes anstatt der emotionalen Ebene (Schirmer 2002).
Erste autobiographische Berichte von Eltern erschienen Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts, seit Mitte der achtziger Jahre wächst auch die Zahl von Selbstberichten direkt Betroffener (z.B. Grandin 1996; 2007; Williams 1992). Das Genre wird im Rahmen der Disability Studies zunehmend wissenschaftlich erschlossen (Orlando 2015; Bates 2010; Causton-Theoharis, Ashby & Cosier 2009; aus historischer Sicht: Newman 2013).
Tätigkeiten in der NS-Zeit
Hans Aspergers Stellung zum Nationalsozialismus wird mittlerweile neu diskutiert (s. Donvan & Zucker 2016, S. 327 ff.; Friedmann 2016; Czech 2015; Löscher 2009, S. 217 ff; Asperger Felder 2008, S. 102 f.). Bereits 1924 wurde die Wiener Gesellschaft für Rassenpflege an der Universität Wien gegründet. Nachdem Österreich im März 1938 annektiert worden war, wurden erb- und rassenbiologische Inhalte offiziell in den Forschungs- und Lehrbetrieb integriert. Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses trat in Österreich am 1. Januar 1940 in Kraft.
2002 hat Brita Schirmer Aspergers Vortrag Das psychisch abnorme Kind von 1938 untersucht: Er habe zwar rassenhygienische Begriffe verwendet, trotzdem müsse sein Aufsatz als ein ethisch verantwortungsvolles Votum für die betreuten Kinder verstanden werden. Asperger habe zuerst auf die gegenwärtige gesellschaftliche Situation und deren Folgen für die Psychiatrie verwiesen, aber anschließend die Perspektive vom “Standpunkt der Volksgesundheit‘ zum „Standpunkt der abnormen Kinder“ verändert, was mit der „faschistischen Ideologie“ nicht vereinbar gewesen sei. Laut Berger (2007, S. 31) habe auch der österreichische Heilpädagoge Erwin Schmuttermeier (2006) gefolgert, dass Asperger den „Nationalsozialismus eindeutig abgelehnt“ habe. Nach Asperger Felder (2008, S. 105), die einen Tagebucheintrag ihres Vaters zitiert, soll der nationalsozialistisch gesinnte Franz Hamburger (1874-1954) ihn zweimal vor der drohenden Verhaftung durch die Gestapo in der Klinik „gerettet“ haben – eine Information, die nach Donvan und Zucker (2016, S. 333 f.) allein von Asperger selbst stammt.
Auf der Basis neuer Recherchen bekräftigt Herwig Czech (2015, S. 24), dass Aspergers „Stellung zum Nationalsozialismus“ zwar bisher „allgemein als eine kritisch-distanzierte beschrieben“ worden sei, geht aber inzwischen davon aus, dass ihm durchaus eine Nähe zum NS-Regime nachzuweisen sei. Asperger sei in deutsch-nationalen Vereinen Mitglied gewesen, habe Briefe mit „Heil Hitler“ unterschrieben und ein Mädchen in ein Heim („Spiegelgrund“ Wien) eingewiesen, das an Enzephalitis erkrankt sei und im Rahmen der nationalsozialistischen Patiententötungen deportiert wurde und starb. Ina Friedmann (2016, S. 309 ff.) berichtet überdies, Asperger sei zwar kein Mitglied der NSDAP gewesen, jedoch seien ab 1938 Tätigkeiten für die Deutsche Arbeitsfront (DAF) und für die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) nachweisbar. Für die NSV habe er Begutachtungen von Kindern durchgeführt und deren erbliche Anlagen betont. Auch Eric Schopler, Begründer des heilpädagogischen TEACCH-Ansatzes (nach dem häufig im Autismusbereich gearbeitet wird) und Flüchtling aus Nazi-Deutschland, vermutete laut Feinstein (2010, S. 15) eine Verbindung Aspergers zum NS-Regime.
War Asperger selbst vom Asperger-Syndrom betroffen?
Hans Asperger wurde von seiner Tochter Maria Asperger Felder in einem Interview mit Uta Frith (1989, S. 9; vgl. Feinstein 2010, S. 13) als ein distanzierter und ruhiger Mann beschrieben. Er soll ein ungewöhnlicher Junge gewesen sein, introvertiert und mit Schwierigkeiten, Freunde zu finden. In den ersten Schuljahren sei sein besonderes Talent für Sprachen aufgefallen, bereits als Kind habe er österreichische Dichter zitiert (Berger 2007, S. 29 ff.; Bernier 2010, S. 145). Lyons und Fitzgerald (2007) schließen, dass seine Persönlichkeit selbst im Rahmen des Spektrums autistischer Störungen erfasst werden könnte. Asperger soll geäußert haben, dass es für seine Arbeit hilfreich sein kann, selbst „ein wenig autistisch“ zu sein (Feinstein 2010, S. 14).
Auszeichnungen
1973: Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde.
1965: Goldene Medaille der Stadt Wien.
1967: Mitglied der Akademie der Naturforscher Leopoldina.
1968: Großes Ehrenzeichen des Österreichischen Bundeslandes Burgenland.
1972: Ehrendoktorat der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians Universität
München.
1975: Kardinal-Innitzer-Preis.
Seit einigen Jahren verleiht die Heilpädagogische Gesellschaft Österreich alljährlich den „Aspergerpreis“ zur Förderung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Fragen der Heilpädagogik.
Literatur
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Burkhart Brückner, Annette Baum
Zitierweise
Burkhart Brückner, Annette Baum (2016):
Asperger, Hans.
In: Biographisches Archiv der Psychiatrie.
URL:
www.biapsy.de/index.php/de/9-biographien-a-z/244-asperger-hans
(Stand vom:13.11.2024)