- Nachname:
- Simon
- Vorname:
- Hermann
- Epoche:
- 19. Jahrhundert
20. Jahrhundert - Arbeitsgebiet:
- Psychiatrie
- Geburtsort:
- Zweibrücken (DEU)
- * 22.03.1867
- † 14.11.1947
Simon, Hermann
Deutscher Psychiater und Begründer der systematischen Arbeitstherapie.
Hermann Simon (1867-1947) wurde in Zweibrücken (Pfalz) geboren. Nach dem Abschluss des Gymnasiums und der Ausbildung als Soldat studierte er Medizin in München, Berlin und Straßburg. 1891 schloss er sein Staatsexamen ab und wurde Assistent in der Bezirks- und Irrenanstalt Saargemünd und ab 1896 Oberarzt in der Provinzial-Heilanstalt Dortmund-Aplerbeck. 1898 promovierte Simon (1901) in Straßburg zum Thema Ein Beitrag zur Kenntnis der Militärpsychosen. 1902 wurde er Oberarzt in Lengerich, 1905 folgte die Leitung der neu erbauten westfälischen Anstalt Warstein, bevor er 1914 Ärztlicher Direktor der noch im Bau befindlichen Provinzialheil- und Pflegeanstalt Gütersloh wurde. Nach dem Militärdienst im Ersten Weltkrieg bis 1918 setzte er den Aufbau der 1919 eröffneten Anstalt in Gütersloh fort.
Aktivere Krankenbehandlung
Hermann Simons gilt als Begründer der modernen, psychiatrischen Arbeitstherapie. Er kritisierte die passive Verwahrung von Patienten, förderte deren gesunde Anteile, sah bereits in Warstein die günstige Wirkung von Arbeitseinsätzen auf dem Klinikgelände und unterstützte die ambulanten Konzepte der „offenen Fürsorge“ in der Weimarer Republik (G. Kolb, F. Wendenburg). In Gütersloh führte er ein fünfstufiges Leistungssystem ein. Jeder Patient erhielt von Beginn an einfache Arbeiten und sichtbare Besserungen wurden sukzessive mit anspruchsvolleren Aufgaben belohnt. Auf der höchsten Stufe wurden landwirtschaftliche, hauswirtschaftliche und handwerkliche, aber unbezahlte Arbeiten außerhalb der Klinik vergeben. Individuelle Leistungsfähigkeit und Nützlichkeit bestimmten die Bewertung des Rehabilitationserfolgs (vgl. Simon 1931). Die paternalistisch verordnete Methode dominierte den gesamten Anstaltsalltag, verkürzte aber nicht die Aufenthaltsdauer der Patienten. Das Gütersloher Modell unterschied sich deutlich von dem Klima der bloßen Verwahrung in anderen Versorgungskliniken und zog in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre zahlreiche Besucher aus dem In- und Ausland an.
Rolle im Nationalsozialismus
Hermann Simon vertrat zu Beginn der Weimarer Republik politisch linksliberale Positionen und akzeptierte Ende der zwanziger Jahre zunehmend eugenische Praktiken auf der Basis eines sozialdarwinistischen Menschenbildes. In einem Vortrag vor Theologen von 1931 formulierte er: „Es wird wieder gestorben werden müssen. Es fragt sich nur, welche Millionen sterben müssen. Der Tod ist und bleibt auch eine Erlösung. Auch die Kirche beginnt zu erkennen, daß die starke Rücksichtnahme auf die Kranken und Schwachen eine Grausamkeit gegen die Gesunden und Tüchtigen ist...“ (zit. nach Walter 2002, S. 1053). 1933 beantrage er die Aufnahme in die NSDAP, die Anwartschaft wurde jedoch nach Konflikten mit der örtlichen Partei rückgängig gemacht. Simon engagierte sich im Deutschen Verband für psychische Hygiene und der NS-Nachfolgeorganisation Deutscher Verband für psychische Hygiene und Rassenhygiene. Er forderte unter anderem eine Verschärfung des „eugenischen Merkblatts“ der Fachgesellschaft gemäß der ideologischen Linie des Gesetzes zur Verhütung erbranken Nachwuchses (Plezko 2011, S. 29 f.). 1934 wurde er regulär in den Ruhestand versetzt. Hermann Simon starb im November 1947 in Gütersloh.
Nachdem Simons Ansätze im Zuge der deutschen Psychiatriereform der siebziger und achtziger Jahre wieder rezipiert wurden, entwickelte sich Ende der neunziger Jahre eine fachöffentliche Kontroverse um die Bewertung seiner Positionen in den dreißiger Jahren (Kersting 2018; Jauchertz 2008). 2009 wurde daraufhin der Hermann-Simon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde abgeschafft und 2012 ein nach ihm benanntes Institut an der Warsteiner Klinik umbenannt.
Literatur
Beddies, T. (2013): „Aktivere Krankenbehandlung “und „Arbeitstherapie “. Anwendungsformen und Begründungszusammenhänge bei Hermann Simon und Carl Schneider. H.-W. Schmuhl, V. Roelcke (Hg.): „Heroische Therapien “. Die deutsche Psychiatrie im internationalen Vergleich, 1918-1945, Göttingen: Wallstein Verlag, pp. 268-286.
Grütter, A. (1995): Hermann Simon. Die Entwicklung der Arbeits- und Beschäftigungstherapie in der Anstaltspsychiatrie – Eine biographische Betrachtung. Herzogenrath: Murkken-Altrogge.
Jauchertz, N. (2008): Randnotiz: Simons Doppelgesicht. In: Deutsches Ärzteblatt 105, (47), S. A 2498.
Kersting, F.-W. (2018): Der Psychiater Herrmenn Simon im erinnerungskulturellen Kontext. In: M. Freese, M. Weidner (Hg.): Verhandelte Erinnerungen. Paderborn: Schönigh, S. 209-229.
Payk, T. R. (2003): Hermann Simon: Aktiver Therapeut und überzeugter Sozialdarwinist. In: Krankenhauspsychiatrie 14, (2), S. 67-72.
Plezko, A. (2011): Handlungsspielräume und Zwänge in der Medizin im Nationalsozialismus: Das Leben und Werk des Psychiaters Dr. Hans Roemer (1878-1947). Inauguraldissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Zahnmedizin des Fachbereichs Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Schulte, W. (1959): Hermann Simon, 1867-1947. In: K. Kolle (Hg.): Große Nervenärzte. Bd. 2. Stuttgart: Thieme, S. 225-235.
Simon, H. (1938): Ergebnisse einer aktiveren Krankenbehandlung in der Heil-und Pflegeanstalt. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift 64, (34), S. 1224-1227.
Simon, H. (1931): Beschäftigungsbehandlung. In: O. Bumke, G. Kolb, H. Roemer, E. Kahn, (Hg.): Handwörterbuch der psychischen Hygiene und der psychiatrischen Fürsorge. Leipzig: De Gruyter, S. 108-113.
Simon, H. (1929): Aktivere Krankenbehandlung in der Irrenanstalt. Berlin, Leipzig: De Gruyter.
Simon, H. (1901): Ein Beitrag zur Kenntnis der Militärpsychosen. Leipzig: G. Fock.
Walter, B. (2002): Hermann Simon – Psychiatriereformer, Sozialdarwinist, Nationalist? In: Der Nervenarzt 73, (11), S. 1047-1054.
Walter, B. (1996): Psychiatrie und Gesellschaft in der Moderne. Geisteskrankenfürsorge in der Provinz Westfalen zwischen Kaiserreich und NS-Regime. Paderborn: Schöningh.
Burkhart Brückner, Ansgar Fabri
Foto: Unbekannt / Quelle: Wikimedia / gemeinfrei [public domain].
Zitierweise
Burkhart Brückner, Ansgar Fabri (2015):
Simon, Hermann.
In: Biographisches Archiv der Psychiatrie.
URL:
www.biapsy.de/index.php/de/9-biographien-a-z/144-hermann-simon
(Stand vom:08.10.2024)