Nachname:
Bumke
Vorname:
Oswald
Epoche:
20. Jahrhundert
Arbeitsgebiet:
Neurologie
Psychiatrie
Geburtsort:
Stolp (DEU)
* 25.09.1877
† 05.01.1950
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Deutscher Psychiater und Neurologe, Lehrstuhlinhaber in München.

 

Oswald Conrad Eduard Bumke (1877-1950) wurde als Sohn des Arztes und Präsidenten der Pommerschen Ärztekammer Albert Bumke und seiner Frau Emma in Stolp (Pommern) geboren. Er studierte nach dem frühen Tod seines Vaters Medizin in Leipzig, Halle, Freiburg und München. Sein Staatsexamen absolvierte er in Halle und promovierte 1901 in Kiel zum Thema Ein Fall von Isthmostenose mit Ruptur der aufsteigenden Aorta (vgl. Steinberg 2008; Schimmelpenning 1993).

 

1904 war Bumke Assistent an der Psychiatrischen und Nervenklinik Freiburg und habilitierte sich an der Albert-Ludwigs-Universität als Schüler von Alfred Hoche im Fach Neurologie und Psychiatrie mit einer Arbeit über Die Pupillenstörung bei Nerven- und Geistes- und Nervenkranken. Der Direktor dieser Klink, Hermann Emminghaus, musste 1901 aufgrund einer Erkrankung zurücktreten. Sein Nachfolger wurde Alfred Hoche. 1906 wurde Bumke Oberarzt an der Freiburger Klinik (Schimmpelpennig 1993).

 

Ordinariate für Psychiatrie und Neurologie

Zwischen 1910 und 1914 war Bumke nichtplanmäßiger außerordentlicher Professor für Psychiatrie und Neurologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und löste Alfred Hoche als Direktor ab. Bereits zwei Jahre später ging er 1914 nach Rostock in die Heil- und Pflegeanstalt als Nachfolger von Fedor Schuchardt. Dort blieb er jedoch nur bis 1916, nachdem er die Berufung an die Schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität in Breslau als Nachfolger von Alois Alzheimer annahm (Kreuter 1996, S. 206). Ab 1921 wurde er Professor und Direktor an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig als Nachfolger von Paul Flechsig, dessen neuropsychiatrische Forschung er kritisch sah (Steinberg 2008). Ab 1924 war an der Ludwig-Maximilians-Universität in München tätig. Noch im selben Jahr erging an ihn – überraschend – der Ruf, Nachfolger Emil Kraepelins auf dem Münchener Lehrstuhl zu werden. In München wurde er 1928/29 Rektor und blieb dort mit kurzer Unterbrechung bis 1947 tätig (dazu Hippius et al. 2005, S. 109 ff.).

 

Gutachten und NS-Zeit

Oswald Bumke gehörte neben Otfried Foerster, Max Nonne, Oskar Minkowski, Salomon E. Henschen und Adolf Strümpell der Expertenkommission an, die im Frühjahr 1923 den zunehmend kritischen Gesundheitszustand Lenins in Moskau untersuchten (vgl. dazu Schwann 1974). Noch im selben Jahr begutachtete er den Hitler-Attentäter Georg Elser (1903-1945). In seiner Autobiographie Erinnerungen und Betrachtungen dokumentierte Bumke (1952, S. 181) seine Einschätzung zu Elser: „Es fehlte ihm nichts. Er wäre Kommunist und Pazifist, erklärte er, und deshalb hätte er Hitler und seine Leute beseitigen wollen, weil sich nur dadurch der Krieg hätte vermeiden oder schnell beendigen lassen.“ (vgl. Steinbach & Tuchel 2008).

 

Nach 1933 blieb Bumke publizistisch und klinisch aktiv, hielt sich jedoch (fach-) politisch zurück. Er lehnte die nationalsozialistischen Patientenmorde ab, intervenierte jedoch offenbar kaum dagegen und war unter anderem förderndes Mitglied der SS, Mitglied im NS-Lehrerbund, beratender Militärpsychiater und 1944 Oberstabsarzt (Klee 2005, S. 84 f.). In seiner Autobiographie von 1952 findet sich – in der Nachkriegszeit – eine deutliche diagnostische Abrechnung mit Hitler, den er als schizoiden „Psychopathen“ bezeichnete.

 

Kritik der Degenerationstheorie und der Psychoanalyse

Bumke veröffentlichte 1919 die in der Fachwelt positiv aufgenommene Monographie Die Diagnose der Geisteskranken, arbeitete dieses 1924 zum Lehrbuch der Geisteskrankheiten um und gab von 1928 bis 1939 das mehrbändige Handbuch der Geisteskrankheiten heraus. Zwischen 1935 und 1937 gab er zusammen mit Otfried Foerster das Handbuch der Neurologie heraus. Bumke war lange Jahre Mitherausgeber des renommierten Archivs für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.

 

Im Rückblick bedeutsam erscheint Bumkes Arbeit von 1912 Über nervöse Entartung, in der er Morels spekulative Degenerationstheorie einer eingehenden Kritik unterzog und letztlich verwarf. Auch in der  überarbeiteten Auflage von 1922 stellte Bumke sich als einer der wenigen Kritiker in der psychiatrischen Fachwelt gegen die aufkommende Rassenhygiene und deren Vertreter, insbesondere Ernst Rüdin, jedoch ohne seine kritische Position durchsetzen zu können (Steinberg 2008, S. 351 f.).

 

In zahlreichen Veröffentlichungen setzte Bumke sich mit Freud auseinander. In der Schrift Die Psychoanalyse. Eine Kritik von 1939 stellte er in Frage, ob die Psychoanalyse überhaupt eine Wissenschaft sei. Sofern Bumke (1922) durchaus selbst an verstehender Psychologie interessiert war, aber den Begriff des „Unterbewusstseins“ bevorzugte (statt des „Unbewussten“), sah er zwar einige wichtige Erkenntnisse Freuds, widersprach jedoch der Libidotheorie und verwarf Freuds therapeutische Praxis: „Aber Freuds Dogmen lehne ich ab, und noch mehr als den Inhalt seiner Lehre bekämpfe ich seine Methode, weil sie allem ins Gesicht schlägt, was für mich exakte und damit nachprüfbare wissenschaftliche Forschung bedeutet.“ (Bumke 1939, S. 5). Anders als in den USA, konnte sich die Psychoanalyse in den deutschen Kliniken kaum etablieren.

 

Im Dezember 1946 suspendierten die amerikanischen Besatzungsbehörden Bumke von der Leitung der Nervenklinik, nachdem ihm öffentlich Verbindungen zum Nationalsozialismus vorgeworfen worden waren. 1947 folgte seine Wiedereinsetzung und Emeritierung (Hippius 2003, S. 18). Bumke starb nach längerer Krankheit 1950 in München.

 

Literatur

Bumke, O. (1906): Was sind Zwangsvorgänge? Halle: Marhold.

Bumke, O. (1908): Landläufige Irrtümer in der Beurteilung von Geisteskrankheiten. Wiesbaden: Bergmann.

Bumke, O. (1909): Über die körperlichen Begleiterscheinungen psychischer Vorgänge. Wiesbaden: Bergmann.

Bumke, O. (1912): Über nervöse Entartung. Berlin: Springer.

Bumke, O. (1912a): Zur Frage der funktionellen Psychosen. In: Fortschritte naturwissenschaftlicher Forschung 6, S.131-152.

Bumke, O. (1919): Die Diagnose der Geisteskranken. Wiesbaden-München: Bergmann.

Bumke, O. (1922): Psychologische Vorlesungen. Wiesbaden-München: Bergmann.

Bumke, O. (1924): Lehrbuch der Geisteskranken. München: Bergmann.

Bumke, O. (1928/39, Hg.): Handbuch der Geisteskrankheiten. 12 Bde. Berlin: Springer.

Bumke, O. (1930): Ansprachen und Reden. (Münchener Universitätsreden, Bd. 17). München: Hueber.

Bumke, O. (1939): Die Grenzen der geistigen Gesundheit. Rede, gehalten beim Stiftungsfest der Universität München am 22.06.1929. 2 Aufl. München: Müller & Steinicke.

Bumke, O. (1941): Gedanken über die Seele. Berlin: Springer.

Bumke, O. (1943): Alfred Erich Hoche. In: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 116, (3), S. 339-346

Bumke, O. (1952): Erinnerungen und Betrachtungen. Der Weg eines deutschen Psychiaters; mit einer Aphorismen-Sammlung. München: Pflaum.

Hippius, H. (2003, Hg.): Universitätskolloquien zur Schizophrenie, Bd. 1, Darmstadt: Steinkopff.

Hippius, H., H.-J. Möller, N. Müller, G. Neundörfer (2005): Die Psychiatrische Klinik der Universität München 1904 – 2004. Heidelberg, Springer.

Klee, E. (2005): Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Zweite, aktualisierte Auflage. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.

Kreuter, A. (1996): Bumke, Oswald. In: A. Kreuter: Deutschsprachige Neurologen und Psychiater. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon von den Vorläufern bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Band 1. München, New Providence, London: Saur, S. 206-209.

Pflaum, R. (2009): Die Behandlung Adolf Hitlers im Lazarett Pasewalk 1918: Historische Mythenbildung durch einseitige bzw. spekulative Pathographie. In: Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie 10, (4), S. 18–23.

Schimmelpenning, G. W. (1993): Oswald Bumke (1877-1950). His life and work. In: History of Psychiatry 4, S. 483-497.

Steinach, P., J. Tuchel (2008): Georg Elser. Berlin: be.bra-verlag.

Steinberg, H. (2013): Oswald Bumke (1877-1950). In: Journal of Neurology 260, (9), S. 2444-2445.

Steinberg, H. (2008): Oswald Bumke in Leipzig. Jenseits von Kraepelin, Freud und Rüdin’scher Entartungslehre. In: Der Nervenarzt 79, (3), S. 348-356.

Schwann, S. (1974): Lenins Krankheit und die Leipziger Ärzte an seinem Krankenbett. In: Zeitschrift für die gesamte innere Medizin und ihre Grenzgebiete 29, (18), S. 769-772.

 

Burkhart Brückner, Jessica Thönnissen, Ansgar Fabri

 

Zitierweise
Burkhart Brückner, Jessica Thönnissen, Ansgar Fabri (2016): Bumke, Oswald.
In: Biographisches Archiv der Psychiatrie.
URL: www.biapsy.de/index.php/de/9-biographien-a-z/123-bumke-oswald
(Stand vom:27.07.2024)